Das Ende der Kindheit!

Wir werden in ein bestehendes geordnetes System hinein geboren.
Läuft alles nach Plan, können wir davon ausgehen, dass "die oben" (unsere Eltern) sich kümmern und wir „unten“ einfach Kind sein können.

 

Eines Tages wird dieses System zerstört.
Verlässlich mit dem Tod der Eltern, der uns brutal klar macht, dass wir jetzt die älteste Generation sind und „alleine“ und „schutzlos“ in der Welt zurück bleiben.
Es ist, als würde uns das schützende "Generationen-Dach" über dem Kopf genommen.


Allerdings passieren in vielen Familien die ersten Brüche schon viel früher und viel subtiler.

Profis im zwischenmenschlichen Umgang - an unseren Eltern scheitern wir jedoch!

Wie sind Kommunikationsprofis, wenn wir uns in schwierigste Gespräche mit Kollegen, Vorgesetzten, Ehepartnern oder Freunden stürzen.

Wir lernen uns selbst zu hinterfragen und persönlich zu entwickeln. Aber an einem Punkt scheitern wir oft jahrelang.
Im Umgang mit unseren Eltern haben wir häufig das Gefühl, mit den besten Absichten auf ein friedvolles Miteinander doch immer wieder in die Konflikt- und Streitfalle zu tappen.

Bei den Töchtern ist es tatsächlich oft der Konflikt mit der Mutter, bei den Söhnen der mit dem Vater.

Neben der Partnerschaft gibt es kaum ein Beziehungskonstrukt, das so häufig analysiert, erklärt und mit tausend Expertenmeinungen versehen worden ist wie die Eltern-Kind Beziehung.

Aber all das hilft uns nicht, respektvolle, liebevolle, unkomplizierte Beziehungen auf Augenhöhe mit unseren Eltern zu führen.

Kaum jemand bleibt davon verschont...

Ich kenne tatsächlich in meinem weiteren Umfeld kein Eltern – Kind Gespann, bei dem es nicht nach demselben schmerzlichen Schema abläuft:

Die Eltern werden im besten Fall nur als anstrengend und zumindest in Teilen als nervig wahrgenommen. Der Steigerung sind keine Grenzen gesetzt.
Die Range geht von leicht nervig bis kaum zu ertragen.
Und der Umgang changiert entsprechend auch von hin und wieder angespannt bis hin zu ziemlich abwehrend und extrem distanziert.

Dabei ist es ganz häufig so, dass man das Verhalten der Älteren nur im Kontext der eigenen Eltern als störend empfindet.

Sitzt man in der Familie einer Freundin oder eines Freundes, und deren Eltern führen das gleiche Theaterstück (nur auf der fremden Bühne) auf, ist man tiefenentspannt. Man versucht nicht selten der Freundin oder dem Freund noch jovial die Hand aufzulegen und gibt kluge Ratschläge wie: „Jetzt sei mal nicht streng, das ist doch voll süß, was Deine Eltern grade gesagt haben!“

Ich habe sogar schon einmal einer Freundin gesagt, dass sie ungerecht ihrer Mutter gegenüber sei, und ihr Ärger grade mehr über sie selbst und ihre Defizite aussage, als über die Mutter.

Das war nicht gut, weil mir wie Schuppen von den Augen fiel, dass meine Kritik an meiner Freundin mehr über mich und meine Defizite aussagte, als über meine Freundin. Ich gab einen Ratschlag, der leider auch bei mir selbst voll auf die Zwölf traf.
Meine eigene Beziehung zu meiner Mutter sagt vermutlich auch ganze Menge darüber aus, wo ich noch verdammtes Entwicklungspotential habe.

Die große Frage ist - warum scheitern wir mit Ansage?

Mich beschäftigt die Frage, warum es uns einfach nicht gelingt unseren Eltern gegenüber gelassen und nachsichtig zu sein?
Warum tappen wir jedes Mal in die gleiche Falle und tanzen den immer gleichen Tanz.
Wir wehren uns gegen die Nähe, versuchen uns abzugrenzen und verschließen dabei unser Herz und unsere Arme.

E gibt keine einfache und keine umfassende Antwort darauf, warum das so ist.
Es gibt viele Faktoren, die wir heranziehen, um uns unser harsches Verhalten selbst zu erklären:

  • Unsere Eltern werden älter und dadurch anstrengender.
  • Die Rollen ändern sich. Wir verlassen die hilflose Kinderrolle und unsere Eltern rutschen in die hilflose Seniorenrolle. Mit diesem Paradigmenwandel kommen wir (oder die Eltern) nicht klar.
  • Die Reibung ist ganz normal und wichtig, um beidseitig loszulassen.
  • Die Eltern werden einsam und beanspruchen uns dadurch mehr, als wir es ertragen können.
  • Die ewige Sorge der Eltern nervt einfach.
  • Die Eltern sind übergriffig, weil sie meinen immer noch alles besser zu wissen.
  • Wir werfen ihnen entscheidende Fehler in unserer Erziehung oder im Zusammenleben vor.
  • Wir können ihnen gewisse Dinge, die sie gesagt oder getan haben, nicht verzeihen.

Würde ich jetzt noch eine Weile weiter nachdenken, würden mir bestimmt noch etliche weitere Gründe einfallen.
Und Jede/r, der das jetzt grade liest, hat vermutlich ganz individuelle Gründe.

Die Frage bleibt aber am Ende immer:
Wenn wir all das wissen und analysieren können, warum können wir es nicht gelassen, nachsichtig und wohlwollend ertragen?

Schließlich stehen unserem Kampf mit den Eltern eine Reihe harter und unumstößlich klarer Fakten gegenüber – die auch keinen von uns überraschen:

Wir verdanken unseren Eltern unsere Existenz. Eines Tages werden sie unwiederbringlich weg sein von diesem Planeten und uns ohne „Generationsdach“ zurück lassen.
Dann werden wir uns für jeden Streit den wir angezettelt - oder nicht verhindert haben - hassen.
Wir werden uns Vorwürfe machen, es im Leben nicht besser hinbekommen zu haben. Noch schlimmer werden wir uns fühlen, wenn noch ein aktiver Streit oder Konflikt zwischen uns gestanden hat.

Wir rennen also sehenden Auges in diesen sehr schmerzenden Zustand aus Vorwürfen und verpassten Chancen.

Was hält uns ab, es besser zu machen? Warum reicht das nicht aus, uns viel milder und versöhnlicher zu stimmen?

Wir sind zwei Teile eines Ganzen!

Ich glaube das Geheimnis liegt in der Nähe zwischen uns und unseren Eltern. Wir kommen aus unseren Eltern. Wir sind wie Teile eines gemeinsamen Puzzles. Es gibt keine natürliche professionelle Distanz zwischen uns und unseren Eltern.

Selbst im Falle eines schwersten Konflikts mit unseren Eltern, ist die Distanz die dann herrscht keine wahrhaftige Distanz. Wir brechen vielleicht den Kontakt ab, aber gedanklich und emotional bleiben wir gebunden.

Wir sind immer auch ein Teil desjenigen, den wir wegstoßen und verurteilen.

Wenn wir etwas an unseren Eltern als total peinlich oder anstrengend empfinden, können wir uns deshalb nicht gelassen distanzieren, weil wir das Gefühl haben, der „störende Anteil“ betrifft uns selbst.

"Jeder nach seiner Façon" mag überall sonst gelten, aber nicht für unsere Eltern.
Die müssen sich so verhalten, dass es bei uns nicht zu Störgefühlen kommt.

In der Ablehnung unserer Eltern, lehnen wir einen entscheidenden Teil von uns selbst - unsere Herkunft - ab.

Ehrliche Selbstreflexion kann den Teufelskreis beenden

Schlussendlich helfen aus dem Eltern-Kind Dilemma vielleicht ein paar Fragen, die man sich selbst beantworten sollte:

  • Wer will ich im Umgang mit meinem anstrengenden Elternteil (Mutter, Vater oder beide) sein?
  • Will ich die sein, die sich in einer ewigen Wiederholungsschleife vor allem über sich selbst ärgert, weil sie immer wieder die Gelassenheit verliert?
  • Will ich die sein, die getrieben ist von dem Gefühl Recht zu haben?
  • Will ich die mit dem letzten Wort oder den sich verdrehenden Augen sein?
  • Will ich der ungeduldige, patzige, verletzte, eingeschnappte, irrationale kleine Mensch sein?
  • Wie wäre unsere Beziehung ohne den ganzen Stress?
  • Was würden wir tun, statt uns zu streiten?

Schlussendlich sollte ich mir die Frage stellen, was es mir bringt oder welchen Nutzen ich daraus ziehe, den Konflikt immer wieder aufrecht zu erhalten.
Es ghet bewusst nicht darum zu schauen, was mein betreffendes Elternteil tut, um den Konflikt am Leben zu halten, das ist nicht unser Business.
Wir sollten die Frage nur für uns beantworten und uns auch nicht mit der einfachen Antwort zufrieden geben, dass wir eben nicht aus unserer Haut können oder uns ständig Unrecht geschieht.

Es gelingt uns in so vielen Situationen unser Verhalten zu reflektieren und entsprechend zu verändern. Wenn es uns bei den Eltern nicht gelingt, ist das nicht einfach Schicksal, sondern irgendwo versteckt sich eine Motivation, die uns immer wieder das gleiche tun lässt.

Auf der Suche nach den Motiven

Vielleicht sind wir aufgrund alter Verletzungen in der Kindheit nicht bereit zu vergeben und tragen immer noch eine kaum spürbare Wut gegen ein Elternteil in uns. Würden wir heute als Erwachsene unseren Widerstand gegen das Elternteil aufgeben, würde eine neue Nähe entstehen, die wir unterbewusst vielleicht nicht zulassen wollen?

Oder wir wollen gar nicht nett zu diesem einen Elternteil sein, weil wir finden, er oder sie hat den Job nicht gut gemacht.

Vielleicht scheuen wir uns selbst auch davor den letzten Schritt der Abnabelung zu gehen. Lieber weiter irrational bockig bleiben, als Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Schließlich wäre das ein Schritt Richtung Erwachsenes-Ich.

Es kann aber auch sein, dass uns der Protest gegen Mutter oder Vater hilft uns mächtig zu fühlen und uns selbst zu erhöhen.
Wir fühlen uns stark und autonom im Kampf gegen die Generation über uns.
Hier sollten wir uns klar machen, dass Stärke und Autonomie nicht durch das Abarbeiten an den eigenen Eltern entsteht, sondern aus uns heraus aufblüht.

Es kann auch sein, dass unsere Motivation ist, uns selbst zu bestrafen. Schließlich bringen wir uns immer wieder in die Lage uns über uns selbst zu ärgern.

Eine allumfassende Antwort auf die Frage nach der Motivation gibt es nicht. Fakt ist aber, dass alles was wir tun einen Sinn für uns hat. Bei einem Konflikt in Dauerschleife kommen wir nicht umhin herauszufinden, welchen Sinn der Konflikt für uns erfüllt. Erst wenn wir das verstanden haben, sind wir in der Lage einen neuen Weg zu gehen.

Wenn wir ein Elternteil hassen

Auch die Entscheidung jemanden zu hassen, satt ihm zu vergeben, erfüllt einen Zweck für uns.
Hass ist einfacher als Vergebung. Vergebung bedeutet loslassen und Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.

Was auch immer zwischen uns und unseren Eltern die individuelle Geschichte ist, wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, dass unsere Eltern es genau so gut gemacht haben, wie sie es konnten.

Auch bei schwierigsten Beziehungen haben die Eltern zum damaligen Zeitpunkt immer genau so entschieden, wie es ihnen aufgrund ihrer persönlichen Prägung, Kenntnis, Lebensumstände möglich war.
Klar können wir heute (30 Jahre später) ein Urteil über diese Entscheidung fällen. Das tut sich immer leicht aus der Entfernung!
Entscheidungen beurteilt man aber am sinnvollsten aus dem Moment heraus, in dem sie getroffen worden sind, und mit den Augen derer, die sie getroffen haben.
Da uns das aber nicht möglich ist, sollten wir einfach den Gedanken zulassen, dass sie getan haben, was sie eben konnten. Vielleicht sind sie emotional nicht gefestigt und reif gewesen, als dass sie es hätten anders entscheiden können.

In der Natur sind Muttertiere dafür zuständig, die Jungen zu gebären, sie mit Futter zu versorgen, bis sie flügge werden und sie dann aus dem Nest zu stoßen, damit das Leben weiter geht.

Es gibt auch Menschen, die ihre Kindheit ähnlich beschreiben. Natürlich widerspricht das allem, was wir uns unter liebevoller Elternschaft vorstellen.
Aber wenn das alles war, was unseren Eltern aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur möglich war, dann ist das so. Wir tun uns selbst einen Gefallen die Realität zu akzeptieren und dankbar darauf zu schauen, anstattstatt lebenslang hassend die Defizite zu konservieren.

Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.
Marc Aurel


Sie für etwas zu hassen, was sie nicht besser hätten machen können ist sinnlos.
Wir zerstören und bestrafen uns damit vorallem selbst.

In Frieden leben

Schließen wir Frieden mit unseren Eltern. Durch sie sind wir auf dieser Erde, und das haben sie ganz großartig hinbekommen!
Wir sind nicht hier, um zu streiten, zu hassen oder Konflikte herauf zu beschwören, für die wir uns später Vorwürfe machen werden.

Der Schlüssel liegt in uns selbst.
Also frage nicht, was Deine Eltern tun können, damit sie Dich weniger nerven, sondern frage, was Du tun kannst, damit Du dahinter kommst, warum Du darauf so reagierst.

"Einen Scheiß musst Du!" so weitermachen wie bisher!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Steffi (Mittwoch, 31 Oktober 2018 16:06)

    Berührt mich grade sehr der Artikel. Ist genau mein Thema. Danke dafür!