Soziale Phasen der Pandemie

Wir stehen am Anfang einer Zeit, für die es keine Gebrauchsanleitung gibt.

Keiner von uns weiß, was jetzt richtig oder falsch ist und wie wir die Lage beurteilen, wenn wir 12 Wochen in die Zukunft springen.

Auch ich habe keine unumstößlich wahren Zukunftsperspektiven, ich kann nur das anbieten, was ich mir aufgrund meiner Berufserfahrung als möglich vorstellen kann.

Vielleicht muss oder darf ich mich in ein paar Wochen korrigieren, wir werden sehen.
Ich gehe davon aus, dass wir als Gesellschaft verschiedene Phasen durchlaufen werden, die uns stark strapazieren.
Besser wir beschäftigen uns rechtzeitig mit der Idee, damit wir damit umgehen können, wenn sie denn dann kommen.

Was ich in dieser Anfangsphase ganz wundervoll zu beobachten finde ist, dass wir in weiten Teilen unseren modernen Individualismus und Egoismus für das große Ganze zurück stellen. 
Ich bin tief bewegt von der großen Hilfsbereitschaft die ich zur Zeit beobachte und der wahnsinnigen Innovationskraft die daraus gerade entsteht.

  • Nachbarn helfen Nachbarn aktiv
  • situationsbedingt arbeitslose Freischaffende wie Autoren, Künstler, Moderatoren bieten sich fremden Menschen zur Kinderbetreuung an
  • man nimmt sich Zeit die Freunde anzurufen, nur um sich gegenseitig aufzuheitern und Trost zu spenden.
  • Familien rücken zusammen
  • Menschen bieten sich den Supermärkten kostenlos zum Regalauffüllen oder Aushelfen an, damit die Mitarbeiter entlastet werden
  • AfD Themen verschwinden endlich aus den Timelines von Social Media und sterben an ihrer Eindimensionalität
  • Initiativen gründen sich in Windeseile, um Hilfsmittel für Online Schooling zusammenzusammeln und online zu stellen.
  • Homeoffice Lösungen werden auch in großen Unternehmen plötzlich mit wenigen Tagen Vorlauf umgesetzt
  • Flüsse und die Luft sind vielerorts plötzlich wieder klar
  • In unfassbarer Schnelligkeit werden politische Beschlüsse gefasst
  • Wir erkennen die Notwendigkeit Geld eher in ein gutes Gesundheitssystem statt in ein glitzerndes "Höher-Schneller-Weiter System" zu investieren
  • und noch ganz vieles andere mehr

Das beeindruckt, das steckt an, das trägt uns derzeit. Wir wissen zwar alle, dass die Lage verdammt ernst ist, aber gleichzeitig sind unsere Herzen noch mit einem wohligen Staunen über diese beeindruckenden Veränderungen gefüllt.

Aber was passiert wenn diese Euphorie und sind wir mal ehrlich auch die Neugier auf das was jetzt passiert nachlässt?

Neugier und Euphorie?
JA ich geben ganz ehrlich zu, dass ich trotz dem ich mir sehr klar bin, was da auf uns zurollt auch ein Gefühl von Neugier und Euphorie spüre. Euphorie, wie weiter oben erklärt, über das was alles plötzlich möglich ist und Neugier, was das sozial mit uns macht.
Der Tod, das große Sterben, der Zusammenbruch des Gesundheitssystems sind in Deutschland noch ca. 2-4 Wochen entfernt. Wir haben noch geringe Todesfallzahlen, so dass wir das noch erfolgreich verdrängen können.
Und niemand ist ein schlechter Mensch, der verdrängt, denn da ist eine total normale und lebensnotwendige Reaktion!

Aber wir sollten uns schon heute mit der Frage beschäftigen, welche Phase auf Euphorie und Neugier folgt.

Ich bin Coach und ich arbeite natürlich viel mit Einzelpersonen, Teams und im Bereich der Teamentwicklung. Was liegt also näher, als mal zu schauen, welche Phasenmodelle ich denn aus meinem Berufsalltag kenne und zu prüfen, ob man aus diesen Modellen Ableitung auf die sozialen Phasen in dieser Pandemiesituation treffen kann. 

Ich möchte zwei Phasenmodelle hier kurz anführen:


1) Die Phasen der Teamentwicklung anhand der Teamuhr nach Bruce Tuckman 

Wir kennen aus der psychoanalytischen Tradition das Dependenz-Modell, das die Individuation und Kindheitsentwicklung in drei Phasen beschreibt:
Dependenz (Abhängigkeit), Counterdependenz (Trotzphase, Auflehnung), Interdependenz (das Wahrnehmen und der "reife" Umgang mit wechselseitiger Abhängigkeit). 


Daraus entstanden verschiedene Modell der Gruppentwicklung die analogen Regeln folgen.

Der amerikanische Psychologe Bruche W. Tuckman formulierte 1965 vier Phasen in der Entwicklung eines (Arbeits-)Teams, auf das sich heute im Bereich Coaching und Teamentwicklung zahlreiche Maßnahmen beziehen.

12 Jahre später ergänzte Tuckman sein Modell dann noch um eine fünfte Phase, Adjourning (Vertagung).

Übertragen wir dieses Modell zurück auf die generelle Dynamik in Gruppen, speziell wenn Druck von Außen auf die Einzelindividuen innerhalb des Teams "Gesellschaft" ausgeübt wird, dann könnte man zu folgendem Schluss kommen:

Momentan befinden wir uns in der Orientierungsphase:

  • Wir gehen vorsichtig mit der Situation um
  • Anpassungswille ist da
  • Bereitschaft zu helfen und sein Möglichstes zu tun 
  • Wir sind gespannt was kommt
  • Wir können uns die Dimension des vor uns liegenden Weges noch nicht vorstellen
  • Wir formieren uns zu neuen sozialen Gruppen
  • Wir sind offen Neues auszuprobieren
  • etc.

Es wird die Konfliktphase folgen:

  • Der Druck wird sich erhöhen
  • Existenzängste werden größer und direkt greifbar
  • Verluste rücken näher und betreffen uns direkt
  • Kräfte lassen nach
  • Stresslevel wird höher
  • Soziale Isolation macht uns mürbe
  • Die Langwierigkeit wird uns bewusster
  • innere und materielle Ressourcen gehen zur Neige
  • Kommunikation wird angespannter und konfliktreicher
  • Gewalt (häusliche und allgemeine) wird zunehmen
  • Suizidrate wird zunehmen
  • Arbeitsplatzverlust, Krankheit etc. betreffen uns direkter
  • Egoismus nimmt zu (erst versorge ich mich und mein Rudel, dann die anderen)

Auf diese Phase folgt die Normierungsphase:

  • Wir gewöhnen uns an Umstände
  • Wir haben Mittel und Wege gefunden dringende Probleme zu lösen
  • Entwicklung neuer Umgangsformen und Verhaltensweisen 
  • Gewöhnung tritt ein

Und der Kreis schließt sich mit der Integrationsphase:

  • Wir kehren zu einer alten Leistungsbereitschaft zurück
  • Dinge normalisieren sich weiter
  • Unser Umgang untereinander normalisiert sich ebenfalls
  • Wir haben die Pandemie bekämpft oder sie in unser Leben integriert

2) Modell der 5 Trauerphasen von Elisabeth Kübler-Ross (Psychiaterin, * 8. Juli 1926 in Zürich; † 24. August 2004 in Scottsdale, Arizona) 

 

Nach diesem Modell durchlebt jeder Mensch traumatische Erlebnisse in 5 Phasen:

  • Leugnung
  • Zorn
  • Verhandlung
  • Depression 
  • Akzeptanz

Klar wird auch bei diesem Modell, dass Dinge nicht so bleiben, wie sie gegenwärtig sind.

Einigen von uns ist eventuell auch schon klar um wen oder um was wir trauern.

  • Um die vermeintliche Sicherheit, dass wir unverwundbar sind?
  • Um die Freiheit uns jederzeit an jeden Ort bewegen zu können?
  • Um die Vielfalt unserer sozialen Kontakte?
  • Um die Unbedarftheit?
  • Um die gefühlte Gewissheit Gefahren wirkungsvoll und schnell bekämpfen zu können?

Nehmen wir an, wir beschreiben die Phase in der wir uns derzeit (März 2020) befinden als Phase des Leugnens, indem wir der Gefahr durch Aktionismus und Solidarität begegnen, die uns ein "gutes Gefühl" geben, dann folgen darauf neben Zorn noch ein paar weitere unangenehme Phasen, bis es auch nach diesem Modell in eine Akzeptanz übergehen wird.


Was heißt das nun aber?

Abwarten und Tee trinken, bis es vorbei ist?
Nein, das heißt dass wir zunächst das Wissen oder sagen wir die Vermutung großflächig teilen sollten, dass das so ablaufen könnte.

Je expliziter wir uns dessen bewusst sind, umso besser können wir die Phasen reflektieren, in denen wir uns befinden.


Und um dieser Gesellschaft Entlastung zu bringen, sollte jede/r Einzelne von uns hoch selbstreflexiv auch die nächsten Monate gehen.


Je klarer wir uns und unsere eigenen Emotionen, Ängste, Zweifel und Panikanfälle sehen und verstehen und je schneller es uns gelingt diese aus einer Metaposition einzuordnen, umso weniger Druck, Konfliktpotential, Aggression oder Verwirrung bringen wir in das instabil werdende "Team Gesellschaft".

UND wir werden diese unangenehmen und stark herausfordernden Phasen, in die wir eventuell fallen werden, schneller durchlaufen können, wenn wir um ihre Existenz wissen.


Was können wir tun?

Das Angebot an:

  • Psychotherapie
  • Seelsorge
  • Coaching

sollte schnellstmöglich hochgefahren und niedrigschwellig zugänglich gemacht werden, damit Menschen auf ein breites Angebot an Kriseninterventionen zugreifen können:

  • Selbstreflexive Gruppengespräche (natürlich im digitalen Raum)
  • Supervisionen (natürlich im digitalen Raum)
  • Unterstützung in der Krisenzeit
  • Selbstwahrnehmungsschulungen, die zeigen, dass wir auch in Rückzug und Distanz Kontakt und Sinnerleben finden können
  • Eröffnen von Möglichkeitsräume, statt den Fokus auf den Mangel, die Probleme oder die Ängste zu lenken
  • Krisen Re-Framing: das Gute im Schlechten finden und über die Krise hinweg erhalten

Menschen müssen unkompliziert Hilfe finden, um sich durch die Phasen begleiten zu lassen.

Unternehmen die die Arbeit in den virtuellen Raum verlegen mussten, sollten sich bewusst machen, dass ihren Führungskräften in Zeiten einer solchen Situation vorallem im Bereich SOFT SKILLS Hochleistungen abverlangt werden.
Führungskräfte müssen jetzt weniger fachlich und umso mehr menschlich führen können.
Da es daran aber schon zu guten Zeiten "gekrankt" hat, sollten Führungskräfte jetzt nicht allein gelassen werden, sondern Hilfe bekommen.

Ich habe mein Angebot im Hinblick auf die gegenwärtige Situation auch angepasst.
Ich möchte auch Menschen, die sich sonst kein Coaching leisten können, Möglichkeiten bieten sich begleiten zu lassen.
Darüber hinaus möchte ich mein Angebot so einfach verfügbar machen, dass niemand mehr zögern muss, sich Hilfe zu suchen.

Schauen Sie bitte hier nach, was bei mir für die Zeit der COVID-19 Restriktionen möglich ist.
Wenn Sie einen speziellen Bedarf haben, sprechen Sie mich bitte an.

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